Zum 100. Geburtstag von Hannelore Maier-Gedenken an eine jüdische Mitbürgerin
Gedenkveranstaltung mit Ehrengästen aus England
Am 9. Dezember 2022 wäre Hannelore Maier, eine bedeutende Zeitzeugin jüdischen Lebens in Reutlingen, 100 Jahre alt geworden. Ein Anlass für das Isolde-Kurz-Gymnasium am 8. Dezember mit einer Abendveranstaltung und einem Vortrag ihrer zu gedenken. Schon im Vorfeld hatten sich Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Fächern mit dem Schicksal Hannelore Maiers und der Aufarbeitung der Judenverfolgung im Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Einige Ergebnisse wurden während der Veranstaltung im Foyer ausgestellt.
Zum Auftakt des Abends begrüßte Schulleiterin Gabriele Häfele als besondere Gäste Oberbürgermeister Thomas Keck sowie die Nichte und zwei Großnichten von Hannelore Maier. Kate Maier und ihre Töchter waren eigens aus Großbritannien nach Reutlingen gereist, um in diesen Tagen an mehreren Veranstaltungen der Stadt Reutlingen, der Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt und des Isolde-Kurz-Gymnasiums teilzunehmen. Auch Hannelore Maier selbst, die 2015 in London starb, war in ihren späten Lebensjahren noch mehrfach nach Reutlingen gekommen.
In ihrer kurzen Ansprache betonte Frau Häfele, dass die Verfolgung der jüdischen Mitbürger auch heute noch „mit uns zu tun hat“ und nicht mit einem „das ist doch schon lange her“ abgetan werden könne. Denn das Schicksal von Hannelore Maier erinnere daran, dass auch wir „uns wieder schwertun mit Andersdenkenden, Andersgläubigen und Andersaussehenden“. Heutige Parallelen zum Schicksal von Hannelore Maier gebe es auch am IKG, nämlich die fast 60 ukrainischen Schülerinnen und Schüler, die vor dem Krieg aus ihrer Heimat fliehen mussten und nun in Ungewissheit über ihre Zukunft und in Sorge über daheimgebliebene Angehörige leben.
Vortrag von Dr. Wilhelm Borth über eine „herausragende Zeitzeugin"
Hannelore Maier war zwischen 1933 und 1936 Schülerin an der einstigen Mädchenrealschule in der Bismarckstraße, der Vorgängerin des heutigen Isolde-Kurz-Gymnasiums. In seinem Vortrag mit dem Titel „Spurensuche in Reutlingen“ sprach Dr. Wilhelm Borth vor allem über diese frühen und prägenden Lebensjahre Hannelore Maiers. Als Tochter gutsituierter und bildungsbeflissener Eltern war das Mädchen Hannelore eine fleißige Schülerin und Klassenbeste, den Anfeindungen und Diskriminierungen zum Trotz, die ihre Familie seit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 erlebte. Als durch Boykottaufrufe und bürokratische Schikanen das Immobilien- und Hypothekenversicherungsgeschäft ihres Vater Adolf Maier in den Konkurs getrieben wurde, zeichnete sich ab, dass das Leben für Juden in Deutschland unerträglich und lebensgefährlich werden würde. So wurde Hannelore Maier im Dezember 1936 von der Mädchenrealschule abgemeldet und ging, ganz auf sich gestellt, als 14-jährige mit einem Schulstipendium auf ein englisches Internat. Ein Jahr später konnte sie ihren jüngeren Bruder nachholen. Während sie selbst sich vor der Juden-Verfolgung der Nazis nach England in Sicherheit bringen konnte, nahm sich ihr Vater 1937 das Leben, ihre Mutter wurde deportiert und 1942 in Auschwitz umgebracht.
Richtig heimisch wurde Hannelore Maier in England nie. Aber auch Reutlingen war ihr zur „Un-Heimat“ geworden, berichtete Wilhelm Borth. Es dauerte Jahrzehnte - bis zum Jahr 2000 - bis sie auf Einladung des damaligen Bürgermeisters ihre Heimatstadt wieder besuchte. Sie kam noch mehrmals, wurde von der Stadt geehrt und als Zeitzeugin geschätzt. Seit 2017 erinnern vier Stolpersteine vor dem früheren Wohnhaus der Familie Maier in der Kaiserstraße 117 an ihr Schicksal der Vertreibung und Ermordung.
Die im Foyer des IKG ausgestellten bzw. zu hörenden Schülerarbeiten der 8. und 9. Klassen griffen vor allem das Thema „Stolpersteine“ als Erinnerungsmarken für Verfolgung und Ermordung im Dritten Reich auf, und bearbeiteten das Thema in Form von Umfragen, Geschichts-Podcasts und Plakaten. In den zehnten Klassen waren zu dem Thema "Individualität und Normierung" eindrucksvolle Porträts aus Büro-Stempeln entstanden - Gesichter, denen der Verwaltungsakt des Abstempelns", des Ein- und Aussortieren eingeprägt ist.