Landeskunde mit dem Labour-Politiker Justin Madders
Videokonferenz mit Justin Madders, Member of Parliament
Für manche überraschend erschien Justin Madders nicht als distanzierter Politiker in Schlips und Kragen auf dem Bildschirm, sondern meldete sich ganz privat und “normal“ von zuhause aus seinem Arbeitszimmer. Madders vertritt seit 2015 den Wahlkreis Ellesmere Port & Neston für die Labour Party im Unterhaus. Ellesmere Port und Reutlingen sind seit 1966 Partnerstädte.
Zu Beginn des Gesprächs erklärte der 49-jähige zunächst Grundlagen und Besonderheiten des politischen Systems seiner Heimat. Ausführlich schilderte Madders die eng getaktete Arbeitswoche der britischen Parlamentarier, die jeden Tag zwischen Ausschüssen, Debatten und Gesprächsterminen hin und her pendeln, meist bis spät in den Abend. Am Wochenende geht es mit Terminen im Wahlkreis weiter. Für seine Familie habe er da oft wenig Zeit, erklärte der dreifache Vater und ergänzte, dass das Parlament noch viel zu wenig auf die jungen Eltern unter den Abgeordneten eingestellt ist. Das musste in diesem Jahr eine Abgeordnete erfahren, die während einer Sitzung ihr Baby stillen wollte und prompt vom “Speaker“ aus dem Saales geschickt wurde. - Entweder Baby oder Debatte.
Nach seiner Motivation für eine politische Laufbahn gefragt, erklärte Madders, dass sein Hauptanliegen eine fairere Gesellschaft für alle sei. Deshalb hatte sich als Anwalt auf Arbeitsrecht spezialisiert und war schon in jungen Jahren in die Labour Party eingetreten, die seit jeher als Partei der Arbeiter und Anwalt der „kleinen Leute“ gilt.
Natürlich war auch das Corona-Virus ein Thema der Fragerunde. Madders, der auch gesundheitspolitscher Sprecher der Opposition ist, kritisierte die Politik der konservativen Regierung, die oft verspätet auf die dramatischen Entwicklungen reagiert habe. Die Pandemie habe zudem gezeigt, wie dringend notwendig Investitionen ins Gesundheitswesen und Verbesserungen für die Pflegeberufe sind.
Gefragt wurde Madders auch zur Brexit-Politik der konservativen britischen Regierung. Zwar hatte er 2016 selbst für einen Verbleib in der EU gestimmt, erklärte aber, die Entscheidung der britischen Wähler zu respektieren. Er meinte, es sei noch zu früh, um abschließend zu sagen, ob der EU-Austritt ein großer Fehler war. Allerdings hätte die Regierung die Brexit-Folgen für die Wirtschaft unterschätzt. Das zeigten der gegenwärtige Mangel an Lkw-Fahrern, die früher häufig auch aus EU-Ländern kamen, und die Versorgungskrise dieses Herbstes, als sich an den Tankstellen lange Schlangen bildeten.
Die letzten Fragen an den Abgeordneten betrafen die Bedeutung der britischen Black Lives Matter Bewegung, die immer wieder gegen Diskriminierung und Alltagsrassismus protestiert. Dazu sagte er, dass man in den vergangenen Jahrzehnten schon erhebliche Verbesserungen erreicht habe, es aber weiterhin wichtig bleibe für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft kämpfen.
Die rassistischen Ausfälle gegen drei dunkelhäutige Fußballer, die im Endspiel der Europameisterschaft ihre Elfmeter verschossen, wertete Madders dagegen als nicht-repräsentative Aktion einer kleinen Gruppe verbohrter Fußballfans. Denn gerade der Fußballsport sei einer der besten Botschafter für die Vielfalt der britischen Gesellschaft und das Gelingen eines multikulturellen Miteinanders.
Am Ende der Videokonferenz bedankten sich die Schülerinnen und Schüler bei Justin Madders für die interessanten Einblicke in die britische Politik und für eine Stunde Landeskunde-Unterricht aus erster Hand.
Moritz Heistermann